Ob er gerne einen Kanaldeckel als Geschenk hätte? Darüber hat Stefano Bottoni nie nachgedacht. Er wurde auch nie gefragt, ob er Museumsdirektor werden möchte. Doch eines Tages bekommt er einen Kanaldeckel aus Guss geschenkt. Dann kommt noch einer und noch einer. Am Ende sind es 150 Stück – und er hat ein Problem.
Das Interessante daran ist, dass Stefano Bottoni nichts mit Tiefbau, Schächten oder Straßenbau zu tun hat. Er ist gelernter Schreiner, hat Kunst studiert und ist vor allem Musiker.
Von einem der auszog Musik zu machen
Wie Stefano Bottoni zu den Kanaldeckeln kam, ist eine längere Geschichte. Als Musiker gilt seine besondere Begeisterung der Straßenmusik. Im Gegensatz zu POP und Klassik gibt es bei der Straßenmusik keine festgefügten Strukturen. Bottoni erkennt dieses Manko und ruft 1983 in Ferrara den Premio Willaert ins Leben, einen Preis, der an junge Musiker vergeben wird. Vier Jahre später, 1987, gründet er das Ferrara Buskers Festival, ein Festival für Straßenmusik. Es gilt heute weltweit als das wichtigste Ereignis für Straßenmusiker. Dieses Festival ist so erfolgreich, dass es in vielen europäischen Städten in ähnlicher Form übernommen wird.
Mit dem Festival wird Stefano Bottoni international bekannt. Das Ferrara Buskers Festival findet jedes Jahr im August in Ferrara statt mit Gästen und Straßenmusikern aus der ganzen Welt. Als künstlerischer Leiter der Musiktruppe und des Buskers Festivals ist Bottoni auch weltweit unterwegs.
Ein Herz für die Kunst der Straße
Bottoni hat nicht nur Herz und Ohren für die Kunst der Straße, sondern auch ein Auge dafür. So fallen ihm eines Tages auf den Straßen der Städte Schachtdeckel aus Gusseisen auf, die historische und künstlerische Motive tragen. So wie Straßenmusiker Melodien, Rhythmus und Geschichten der Straße zum Ausdruck bringen, sind seiner Ansicht nach auch die gestalteten Kanaldeckel ein Ausdruck von Kultur und Straßenkunst. Es sind Nutzobjekte mit einem künstlerischen Ausdruck, die oft die Geschichte der jeweiligen Stadt widerspiegeln. Und noch etwas fasziniert ihn: Es gibt sie überall. So beginnt er 1998 besonders bemerkenswerte Kanaldeckel zu fotografieren und zu dokumentieren.
Ein Faible für Kanaldeckel
Spricht man ihn darauf an, schüttelt er den Kopf und lacht. „Ja“, sagt er, „das ist eine komische Geschichte. Eigentlich habe ich nur Fotos gemacht und eine Fotodokumentation geplant. Und dann hat mich jemand dabei beobachtet und eine ganz neue Geschichte kam ins Rollen.“
Dieser Jemand ist Vladimir Vihan, der damalige Bürgermeister der Stadt Prag. Es geschieht 2002, Bottoni ist mit seinen Musikern zu Besuch in Prag, der europäischen Partnerstadt Ferraras. Er sieht auf der Straße einen bemerkenswerten Kanaldeckel, bückt sich, streicht mit der Hand darüber und macht davon ein Foto. Vladimir Vihan bemerkte dies, ist von dieser Geste sehr berührt – und hat eine Idee. Einige Wochen später wird bei Stefano Bottoni in Ferrara ein ungewöhnliches Geschenk angeliefert: Ein gusseiserner Kanaldeckel mit historischen Motiven aus Prag.
Plötzlich kommen Kanaldeckel aus der ganzen Welt
Schnell spricht sich in den Musikerkreisen und in den besuchten Städten herum, Stefani Bottoni würde Kanaldeckel aus Guss sammeln. Und so treffen nach und nach aus all den Städten, die er mit seinen Buskers besucht oder deren Musiker in Ferrara zu Gast sind, Kanaldeckel ein. „Es ist wie ein Wettbewerb der Städte“, sagt Bottoni überwältigt. „Alle wollen dabei sein und schicken mir ihre interessantesten Stücke. Ich habe das nie herumerzählt und auch nie Werbung dafür gemacht. Die Kanaldeckel kommen von alleine.“
Wohin mit den Kanaldeckeln?
Auch von Ferrara erhält er einen gusseisernen Kanaldeckel. Doch wohin mit den vielen Kanaldeckeln? Sie sind zwar schön, aber schwer und benötigen Platz. Will er sie zeigen, muss er sie auf Gestelle postieren. Manche historischen Stücke müssen auch bearbeitet werden. Er hat ein Problem.
2003 ruft er ein Projekt ins Leben, das Projekt „Museo Internazionale delle Ghise – International Manhole Cover Museum“ (Internationales Kanaldeckelmuseum). So wird der Künstler und Musiker Bottoni unversehens zum Direktor seines eigenen Kanaldeckelmuseums.
„Eines Tages hatte ich 150 Kanaldeckel“, sagt Bottoni, „darunter auch ganz ungewöhnliche. Von Rom bis Helsinki und von Bukarest bis Havanna. Und jeder Kanaldeckel hat seine ganz eigene Geschichte! Um all dies auszustellen und zu erzählen, brauchte ich einen Ort, wo dies möglich ist.“
Das Kanaldeckelmuseum bekommt ein Konzept
Die Stadt Ferrara stellt ihm im Industriegebiet von Ferrara die Lagerhalle eines alten Klosters zur Verfügung. Einziger Luxus des großen Raumes mit den kahlen Wänden: Ein Lichtschalter und eine Kaltwasserleitung. Zum Glück sind gusseiserne Kanaldeckel relativ unempfindlich.
„Ich habe Glück“, sagt Bottoni. „meine Assistentin und Kuratorin Martina Rubbi studiert Museumsdidaktik. Sie baut hier eine Systematik auf und entwickelt ein echtes Museumskonzept.“
Knapp die Hälfte der vorhandenen Schachtdeckel sind inzwischen aufgestellt, liegen auf Podesten und Gestellen aus Metall und Holz. Ein großer Teil ist dokumentiert. Viele hat Stefano Bottoni noch in Arbeit. „Wir wollen ja, dass die Deckel schön aussehen. Viele müssen wir nicht nur reinigen, sondern auch richtig nacharbeiten, z. T. sogar restaurieren. Manche Kanaldeckel bekommen wir, weil die Städte die Deckel ausrangieren. Entweder aus Altersgründen oder weil sie nicht mehr den neuen europäischen Normen entsprechen.“
Kanaldeckel voller Geschichten
Martina Rubbi kennt die Geschichten der einzelnen Kanaldeckel. Mal sind es die unglaublichen Reisen quer über den Erdball, mal die Art und Weise wie der Kanaldeckel durch den Zoll kam, mal die Geschichte eines Kanaldeckel-Paketes, das dem Zusteller aus der Hand gerutscht war. Manchmal sind es die Lebensgeschichten der Deckel.
„Hier haben wir z. B. einen Kanaldeckel aus Kuba, ein wirklich seltenes Stück aus einer alten Zeit. Wir haben auch einen Deckel aus Sevilla in Spanien, an dem Sie noch die Bombenspuren des Krieges aus der Franco-Zeit erkennen. Einen anderen Kanaldeckel haben wir aus Bukarest erhalten. Er hat ein etwas anderes Scharnier und war zuletzt auch nicht unbedingt ein klassischer Kanaldeckel. Er war das Tor zur unterirdischen Welt der Straßenkinder in Bukarest. Sie lebten in den Kanälen und Abwasserschächten, um den Schergen von Ceausescu zu entkommen.“
Geht man durch die Reihen des Kanaldeckelmuseums, erkennt man wie unterschiedlich die metallenen Deckel in Form, Größe und Motiv sind und wie verschieden die Scharniere sind. Besonders schöne und künstlerische Motive haben die Kanaldeckel aus den skandinavischen Ländern. Einige der ausgestellten Exemplare sind im Internet zu sehen unter => www.manholemuseum.it/gallery.html .
Kanaldeckel sind Straßenkunst und Kulturgeschichte
„Juristisch gesehen ist dies hier kein offizielles Museum. Wir sind kein Verein und auch kein Unternehmen mit Mehrwertsteuer. Es ist vielmehr meine private Sammlung. Es kostet viel Arbeit, Zeit und Geld. Aber interessant ist diese Art der Straßenkunst.“
Wenn das Kanaldeckelmuseum in Ferrara einmal komplett aufgebaut ist und die Objekte dokumentiert sind, wird diese Ausstellung eine Art Kulturgeschichte der Welt sein, die sich in den Kanaldeckeln spiegelt. Entweder über die Motive oder über die Geschichte der einzelnen Deckel selbst. Gesammelt und zusammengetragen von einem Musiker, der durch Zufall Direktor eines Kanaldeckelmuseums wurde.
Wenn man die Geschichte des Museums kennt, versteht man auch, warum mitten zwischen den Kanaldeckeln zwei Kunstobjekte aus Pappe stehen, die Straßenmusiker darstellen. Sie stammen von einem befreundeten Künstler.
Tipps für den Besuch im Kanaldeckelmuseum
Wer das Internationale Kanaldeckelmuseum in Ferrara besichtigen will, sollte sich vorab bei Stefano Bottoni anmelden und einen Termin vereinbaren. Der Kontakt findet sich auf der => Webseite des Museums. Weitere gusseiserne Kanaldeckel nimmt Stefano Bottoni übrigens gerne entgegen. Vorausgesetzt, Sie übernehmen den Transport und die Transportkosten.
„Von Deutschland habe ich schon einige,“ sagt Bottoni, „so zum Beispiel von Berlin und Leipzig. Allerdings habe ich derzeit noch keine Motivdeckel von Köln oder Bonn. Vielleicht kommen da ja eines Tages auch noch welche!“, sagt er und grinst.